Es ist ein weites Feld – die Auswirkung von Lebensmitteln auf den menschlichen Schlaf. Schwere Speisen und aufputschende Getränke sind dem Einschlafprozess nicht förderlich. Prof. Helmut Teschler, Vorsitzender der Initiative „Deutschland schläft gesund“, über ein komplexes Zusammenspiel, Kaffee vor dem Schlafengehen und die innere Uhr.

Schlafexperte
Prof. Helmut Teschler gibt Tipps für eine Ernährung, die den Schlaf fördert.
Stehen Schlaf und Ernährung wirklich in einem Zusammenhang?
Prof. Helmut Teschler: Das tun sie. Allerdings ist es ein komplexes Zusammenspiel und einfache Wahrheiten sucht man vergebens. Individuelle Ausprägungen spielen eine Rolle. Person A schlummert selig nach einem Glas Rotwein, Person B bekommt davon schlechte Träume. Manche können gut schlafen, wenn sie Rohkost am Abend zu sich nehmen, andere werden davon auf Trab gehalten, denn ihr Körper ist so sehr mit der Verarbeitung beschäftigt, dass sie keine Ruhe finden.
Welche sind denn die beteiligten Komponenten an dem komplexen Zusammenspiel?
Prof. Helmut Teschler: Der Bio-Rhythmus, die innere Uhr, die Sinne, das Immunsystem und das vegetative Nervensystem. Letzteres kann nicht willentlich beeinflusst werden, es steuert unter anderem die Atmung, die Verdauung und den Stoffwechsel. Der Sympathikus wirkt fördert die Leistung, der Parasympathikus fördert die Entspannung. Bei einer Lebensmittelallergie geraten beispielsweise die natürlichen Abwehrkräfte durcheinander. Das Immunsystem bekämpft dann diese Nahrungsbestandteile mit einer Immunreaktion, die sich in Verdauungs- und Schlafstörungen bemerkbar machen kann.
Kommen nicht auch die Hormone ins Spiel?
Prof. Helmut Teschler: Ja, etwa das Melatonin, das unsere Schlaf-Wach-Zeiten regelt. Melatonin wird bei Dunkelheit von der Zirbeldrüse im Hirn ausgeschüttet, mit der Folge, dass wir müde werden und der Körper sich auf das Schlafen einstellt. Wird es morgens hell, geht die Ausschüttung zurück – für den Körper das Signal, wach zu werden und aufzustehen. Das Melatonin wird aus Serotonin gebildet. Serotonin ist ein so genannter Transmitter, ein Botenstoff von Nervenzellen, den Menschen über pflanzliche Nahrungsmittel zu sich nehmen.
Ich kann also serotonin-haltige Lebensmittel wie etwa Walnüsse zu mir nehmen und produziere dann das Schlafhormon Melatonin?
Prof. Helmut Teschler: So einfach ist es eben nicht. Im Gehirn ist Serotonin an vielen verschiedenen Funktionen beteiligt, wie der Wahrnehmung und Temperaturregulierung, dem Schmerzempfinden, Appetit und Sexualverhalten. Appetit und Sexualverhalten werden vom Serotonin gehemmt, es wirkt dabei als Gegenspieler des Dopamins. Das benötigte Serotonin muss vom menschlichen Gehirn selbst synthetisiert werden. Die essenzielle Aminosäure Tryptophan ist hierfür der Ausgangsstoff, den wir über die Nahrung zum Beispiel durch den Verzehr von Bananen, Erbsen, Edamer Käse oder Nüssen wie Cashew-Kerne und Erdnüsse aufnehmen.
Viele Faktoren sind beteiligt – was nehmen wir noch in den Blick?
Prof. Helmut Teschler: Den Aufbau der Nahrung und die Magen-Darm-Passage. Sie können das gleiche Volumen an Nahrung zu sich nehmen, aber unterschiedliche Auswirkungen spüren. Die Verweildauer der Lebensmittel im Magen hängt vom Fett- und Zuckergehalt und weiteren Faktoren ab. Wie gut hat man gekaut? Hat man geraucht? Hat man Stress? Wie voll ist der Magen schon? Nimmt man Tabletten? Verspeisen Sie am Abend beispielsweise eine Pasta mit schwerer Sauce, benötigt der Körper länger für die Verarbeitung als für eine Suppe oder leichtere Gerichte wie etwa Geflügel oder Fisch. Mit negativer Wirkung auf den Einschlafprozess. Fazit: Am Abend gehört leicht verdauliche Kost auf den Tisch.

Serotonin-haltige Lebensmittel wie Walnüsse fördern die Produktion des Schlafhormons
Melatonin.
„Schlafen, essen, wachen – alles Leben folgt einem inneren Rhythmus.“
Prof. Helmut Teschler, Schlafmediziner
Welchen Einfluss haben Getränke auf unseren Schlaf?
Prof. Helmut Teschler: Sie wirken sich auf die Verdauung und das vegetative Nervensystem aus. Das enterische Nervensystem, also das komplexe Geflecht von Nervenzellen im menschlichen Magen-Darm-Trakt, reguliert den gesamten Magen-Darm-Trakt zwar unabhängig von äußeren Einflüssen, wird aber dennoch vom bereits erwähnten Sympathikus und Parasympathikus, also dem vegetativen Nervensystem, beeinflusst. Der Sympathikus hemmt die Verdauung, der Parasympathikus regt sie an. Weißwein und Champagner wirken anregend und dem Tiefschlaf entgegen, Rotwein und Bier in Maßen beruhigen hingegen. Auch bei nicht-alkoholischen Getränken ist Vorsicht geboten: Manche Schwarztees sowie Grüntees enthalten Koffein – diese Tees abends zu trinken, ist nicht förderlich für den Schlaf. Das gilt auch für den Saft von säurehaltigem Obst wie Grapefruit oder Zitrone, denn dieser entspricht der inneren Uhr des Menschen am besten vormittags. Der abendliche Konsum von Kaffee wirkt sich bei den meisten Menschen negativ auf den Schlaf aus. Die Forschung hat bewiesen, dass abendlicher Koffeinkonsum den zircadianen Melatonin-Rhythmus verschieben kann. Der Fachbegriff „zircadianer Rhythmus“ meint vereinfacht gesagt unsere „innere Uhr“. Allerdings gilt auch beim Kaffee: Die individuelle Wirkung ist stark abhängig von der genetischen Ausstattung und dem Lebensalter einer Person.

Rotwein in Maßen beruhigt und fördert den Schlaf.
Wie sieht es mit der wissenschaftlichen Belegbarkeit des Zusammenspiels von Schlaf und Ernährung aus?
Prof. Helmut Teschler: Wissenschaftliche Belege für die positive Wirkung von Ernährungsfaktoren auf den gesunden Schlaf finden sich beispielsweise für Baldrian oder auch Tryptophan. Letzteres ist eine Aminosäure, die der menschliche Körper nicht selbst bilden kann, die also mit der Ernährung zugeführt wird, etwa durch Sojabohnen, Cashew-Kerne oder Haferflocken. Grundsätzlich ist die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen und gesunden Ernährung sinnvoll. Umgekehrt kann der Konsum von Alkohol und Koffein den Schlaf in Abhängigkeit von den ererbten Genen mehr oder weniger stark stören. Ernährungsgewohnheiten können zu Schlafstörungen führen, die das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Übergewicht und möglicherweise auch Krebs erhöhen.
Das Erbgut spielt also ebenfalls eine Rolle?
Prof. Helmut Teschler: Schlafen, essen, wachen – alles Leben folgt einem inneren Rhythmus. Gene steuern unsere biologische Uhr. Jede und jeder kann für sich selbst herausfinden, was guttut. Ernährung ist ein wichtiger Aspekt. Aber auch der Riechsinn ist in diesem Zusammenhang spannend: Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass sich Lavendel positiv auf den Schlaf auswirken kann. Zwar gibt es ihn auch in Tablettenform, doch er entfaltet seine Wirkung hervorragend über den Riechsinn, etwa in Duftlampen. Noch effektiver ist Lavendel in einem warmen Bad – die aufsteigenden Düfte regulieren das menschliche Nervensystem, fördern die Entspannung und die Ent-Stressung. Die Auswirkung des olfaktorischen Systems auf unser Gehirn, unsere Geruchswahrnehmung und die positive Verknüpfung von Erinnerungen an bestimmte Gerüche sind interessante Forschungsgebiete.